Themenwoche Toleranz – Offener Brief an den Hessischen Rundfunk

Offener Brief an den Hessischen Rundfunk zur ARD Themenwoche Toleranz

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf Ihrer Webseite www.hr.de kündigen Sie anlässlich der ARD Themenwoche Toleranz die Sendung Horizonte mit dem Titel „Der Tanz um die Toleranz“ an. Der zugehörige Text stellt die Frage „Was müssen wir uns gefallen lassen – was nicht?“ und bezieht sich gleich im Anschluss auch auf Schwule: „Ist sich das knutschende schwule Paar in der U-Bahn eigentlich bewusst, wie viel Toleranz es seinen Mitreisenden abverlangt?“. Weiter heißt es: „Toleranz ist etwas, was die Mehrheit der Minderheit gewährt.

Wir stellen fest, dass dieser Text verletzend ist und sich auf unverschämte Art einer diskriminierten Minderheit bedient, statt sich fachlich mit Toleranz zu beschäftigen. Das „knutschende schwule Paar“ muss sich nicht bewusst machen, wie viel Toleranz es Mitreisenden abverlangt, da das Geschlecht bei einem öffentlichen Kuss keine Frage der Toleranz ist. Wer einen Unterschied macht zwischen einem heterosexuellen und einem homosexuellen Paar das sich küsst, hat kein Problem mit Toleranz, sondern ist schlicht homophob. Schwule und Lesben die ihr Beziehungs- und Sozialverhalten genauso selbstverständlich und offen leben wie Heterosexuelle, sind kein Angriff auf die sogenannte „Mehrheit“. Sie verlangen den Mitmenschen keine Toleranz ab, welche ihnen dieselbe „gewährt“, ARD Themenwoche Toleranzsondern lassen sich vielmehr von der Gefahr einer etwaigen direkten oder indirekten Diskriminierung nicht einschüchtern. Es ist unerhört, dass sich Schwule und Lesben immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, dass sie provozieren wollten oder die Toleranz überstrapazieren, nur weil sie sich so verhalten, wie es für heterosexuelle Menschen vollkommen unproblematisch wäre. Toleranz als etwas zu bezeichnen, das „die Mehrheit der Minderheit gewährt“ impliziert, dass „die Mehrheit“ „der Minderheit“ nur so viel Raum gewährt, wie für erstere gerade noch erträglich ist. Diese Sichtweise und Einstellung erkennen wir genauso als falsch wie die Logik, dass über die Grenzen der Toleranz gesprochen werden muss, sobald sich jemand, bedingt durch Werte, Bauchgefühl oder sonstiges an schwulen Küssen, lesbischen Müttern oder der Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft gegenüber der Ehe stört. Menschenrechte sind unteilbar. Bauchgefühl rechtfertigt Diskriminierung nicht. Schwule und Lesben, die sich öffentlich küssen, Hand in Hand die Straße entlanggehen oder einfach nur offen mit ihrer sexuellen Orientierung umgehen sind nichts, was Sie sich „gefallen lassen“ müssen, sondern sind eine Realität mit der Sie endlich klar kommen sollten.

Weiter schreiben Sie: „ Aber auch zu viel Toleranz kann zu Konflikten führen, – etwa wenn dadurch etwa[sic] eigene Überzeugungen, Werte oder Lebensmodelle zurückstecken müssen.“

Hierzu stellen wir fest, dass es in der Frage um Menschenrechte kein „zu viel“ an Toleranz geben kann. Minderheiten wie Schwule und Lesben finden sich in Deutschland nach wie vor in einer Situation der strukturellen, sozialen und individuellen Diskriminierung wieder. Wir fragen uns ernstlich, welche Ihrer Überzeugungen, Werte und Lebensmodelle beeinträchtigt sein könnten, wenn alle Menschen die gleichen Rechte haben. Vielmehr stellen wir uns die Frage, wie viel Toleranz homosexuellen und auch anderen Gebührenzahler_innen abverlangt wird, wenn sie sehen, dass mit ihren Beiträgen eine Sendung finanziert wird, in der Matthias Matussek über Toleranz diskutieren soll. Matussek bildet in keinster Weise eine zugewandte Einstellung zu der Vielfältigkeit in unserer Gesellschaft ab, sondern hat sich nach unserer Einschätzung lediglich durch seine Aussage „Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so.“ als Gast der Sendung qualifiziert. Wir finden es weder zulässig, noch akzeptabel, eine Diskussion um Toleranz führen zu wollen, zu der ein offen homophober Gast eingeladen ist. Es ist eine gängige Praxis der öffentlich-rechtlich produzierten Talk-Runden insgesamt, bei dem Thema Homosexualität homophobe Gäste einzuladen und ihren menschenfeindlichen Reden eine Bühne zu geben. Man stelle sich Sendungen zu den Themen Judentum in Deutschland oder Flüchtlinge vor, in denen ein_e Antisemit_in oder Rassist_in eingeladen werden. Das Konzept, einen Schwulen mit einem Schwulenhasser diskutieren zu lassen um dann so etwas wie eine „gesunde Mitte“ zu finden, funktioniert nicht. Diskriminierung ist und bleibt Diskriminierung und ist nicht verhandelbar – und das darf sie auch niemals sein. Wie lange noch müssen Zuschauer_innen die schwulen- und lesbenfeindliche Gäste tolerieren?