Kundgebungsrede zum IDAHOBIT 2017

Am 17.  Mai, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, veranstalten wir traditionell eine Kundgebung auf dem Darmstädter Luisenplatz. Wir begehen diesen Tag auch als Internationalen Tag gegen Interfeindlichkeit, Transfeindlichkeit und Bifeindlichkeit. In diesem Jahr haben Rosa und Kerstin Redebeiträge zur Kundgebung geliefert, die beide nun auch online nachlesbar sind. Rosas Ansprache findet ihr hier.
Kerstin ist die Leiterin unserer vielbunten Elterninitiative Kim & Alex  und hat die Recht und Bedürfnisse von trans* Kindern in den Fokus gerückt:
Ihr Lieben, eigentlich spreche ich heute für mein Kind, das im Augenblick noch etwas zu jung ist, um selbst hier am Mikrofon zu stehen. Für mein Kind, das wir Eltern und die Ärzte schon vor seiner Geburt aufgrund seiner Anatomie dem männlichen Geschlecht zugeordnet hatten. Dieses Kind, das nach seiner Geburt gute sechs Jahre gebraucht hat, um uns – seine Eltern – davon zu überzeugen, dass es kein Sohn, sondern eine Tochter ist.
Heute weiß meine Tochter: Sie ist nicht alleine. Vielen Menschen geht es wie ihr; Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Einige von ihnen habenmeine Tochter gerettet und mir geholfen zu verstehen, wie ich mit ihr umgehen muss. Einige sind für uns da, wenn wir Fragen und Sorgen haben. Viele Menschen vor uns haben den Weg gebahnt, auf dem meine Tochter nun unterwegs ist, und die ganze Familie mit ihr. Diesen Menschen gegenüber empfinde ich große Dankbarkeit und Verbundenheit.
Danke auch an vielbunt, dafür, dass wir bei dieser Kundgebung zum
Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit den Blick auf die Bedürfnisse und Rechte unserer Kinder lenken dürfen. Ebenso danke ich euch im Namen von Kim & Alex – einer Initiative von Eltern, die ihre Kinder nicht durch die gesellschaftlichen Normvorstellungen von „männlich“ und „weiblich“ an der Entfaltung ihrer einzigartigen Persönlichkeit hindern lassen wollen. Wir sind sehr froh darüber, dass wir unter dem Dach von vielbunt eine Anlaufstelle aufbauen konnten, die inzwischen schon fünfzehn Familien aus der Region zu einem starken Netzwerk verbunden hat. Diese Gemeinschaft gibt uns Mut und Stärke, um täglich für die Rechte und das Wohlergehen unserer Kinder zu kämpfen.

Denn wir – und unsere Kinder – wissen, was Transfeindlichkeit bedeutet. Für unsere Kinder bedeutet Transfeindlichkeit zum Beispiel, dass ihnen von einigen Gruppierungen schlicht und ergreifend ihre Existenz abgesprochen wird. Ein besonders bestürzendes Beispiel für diese Haltung ist der „Anti-Gender-Bus“, der unter dem Namen „Bus der Freiheit“ in diesem Jahr durch Spanien und die Vereinigten Staaten tourte, um trans- und menschenfeindliches Gedankengut unters Volk zu bringen. „Wenn Du als Junge geboren bist bleibst Du ein Junge. Wenn Du als Mädchen geboren bist, bleibst Du ein Mädchen. Lass dich nicht verwirren.“ stand auf diesem Bus geschrieben. Dass die Geschlechtszuordnung hierbei einzig und alleine aufgrund der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale erfolgt, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Die Vertreter dieser Haltung in Deutschland mit ihrem Anspruch „für alle“ zu sprechen, sind uns natürlich ebenso bekannt.
Besonders perfide ist dieses Vorgehen, da sich ja – wenn es Kinder wie die Unseren nicht gibt – auch jede Diskussion über deren Rechte und Bedürfnisse erübrigt.
Selbst in der breiten Masse der Bevölkerung findet diese Haltung ihren Widerhall – „Ein Kind in diesem Alter kann doch nicht einfach entscheiden, welchem Geschlecht es angehört!“ – das müssen wir uns allzu oft sagen lassen.
Komischerweise traut man das den Kindern, bei denen Genitalien und geschlechtliche Selbstverortung dem gewohnten Standard entsprechen, ohne Probleme zu. Niemand würde auf die Idee kommen, zu einem vierjährigen cis Jungen, der sich deutlich als solcher einordnet, zu sagen: „Warte erst mal ab. Um das genau wissen zu können bist Du doch noch viel zu jung.“
Im Alltag zeigt sich Transfeindlichkeit gegenüber unseren Kindern auf unterschiedlichste Art und Weise. Sie haben beispielsweise kein

einklagbares Recht darauf, in Bildungseinrichtungen entsprechend ihrer geschlechtlichen Selbstzuordnung behandelt zu werden. Es gibt zwar keine gesetzlichen Regelungen, die das verbieten, aber letztendlich ist das Wohlwollen derjenigen, die über die Macht in den Institutionen verfügen, ausschlaggebend. Nur wenn diese Personen es ernst meinen mit der Akzeptanz und bereit sind, sich auch in Konfliktsituationen bedingungslos an die Seite unserer Kinder zu stellen, kann so etwas wie Vertrauen und Stabilität im Kita- und Schulalltag eintreten.

Leider erleben wir allzu oft, dass es mit dieser Akzeptanz gegenüber unseren Kindern – und damit auch gegenüber uns, ihren Familien – nicht allzu weit her ist. Bemerkungen wie „Ihr Kind kann kein Mädchen sein. Es klettert auf Bäume wie ein Junge und spielt sogar Fußball auf dem Schulhof!“ hören wir häufig. Es gibt Orte, an denen sammeln besorgte Menschen Unterschriften, um gegen Familien zu protestieren, die ihre trans*Kinder unterstützen. Auch Anzeigen beim Jugendamt sind schon vorgekommen, weil Außenstehende der Meinung waren, die unterstützenden Eltern würden das Kindeswohl gefährden. Manche Familien sind gezwungen, den Wohnort zu wechseln und ihr Haus zu verkaufen, weil sie über Jahre hinweg immer wieder angefeindet werden.

Bei einer Familie flogen Ziegelsteine durch ein Fenster. Sie landeten im Kinderzimmer eines Zehnjährigen. Auch auf die Justiz ist kein Verlass, wenn es darum geht, unseren Kindern ein selbstbestimmtes und möglichst unbeschwertes Aufwachsen zu ermöglichen. Besonders, wenn Eltern sich uneinig sind, schlagen sich Gerichte häufig auf die Seite des Elternteils, der eine normalisierende Behandlung seines Kindes für richtig hält. Dem unterstützenden Elternteil wird hingegen von Gerichten und Jugendämtern regelmäßig die Erziehungsfähigkeit abgesprochen, bis hin zum Sorgerechtsentzug. In einem aktuellen Fall war sich ein Gericht nicht zu schade, auf Betreiben eines transfeindlichen Vaters zu verfügen, welche Kleidung das Kind in der Schule tragen darf und welche Farbe die Haargummis haben dürfen, mit denen die Haare zusammengebunden werden müssen.
Nicht zu vergessen sind natürlich die Kinder, die keinerlei Unterstützung im familiären und institutionellen Umfeld erfahren, und die mit ihren Fragen und Nöten vollkommen alleine gelassen werden, bis sie selbst in der Lage sind, sich Informationen und Hilfe zu organisieren. Dieser Leidensweg kann schwerste Traumata verursachen und Kinder und Jugendliche in tiefe Verzweiflung stürzen. Ein trauriges Beispiel ist der tragische Suizid der 16jährigen Leelah Alcorn kurz nach Weihnachten 2014.
All das zeigt, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt, bis für alle diese
Kinder und Jugendlichen tatsächlich Chancengleichheit in der Gesellschaft, und insbesondere im Bildungs- und Rechtssystem hergestellt ist.
Deshalb fordern wir, in Anlehnung an die Positionen von Trans-Kinder-Netz e.V.:
  • Die Abschaffung der Diagnose trans* im Sinne eines pathologischen Zustands.
    Unsere Kinder sind weder krank noch gestört.
  • Die Abschaffung von Zwangstherapie bei gleichzeitig freiem Zugang zu allen erforderlichen Maßnahmen des Gesundheitssystems.
    Das Verweigern oder Verzögern von notwendigen Behandlungen kann zu schweren Folgeerkrankungen führen, die vermieden werden können.
  • Die Möglichkeit der Änderung des Vornamens- und Geschlechtseintrages in staatlichen Dokumenten durch Willenserklärung als Verwaltungsakt ohne Begutachtungsprozess, Wartezeiten und Altersuntergrenzen. Diese staatliche Anerkennung wäre ein wichtiger Meilenstein zur Erlangung von Chancengleichheit z.B. im Bildungssystem und beim Start ins Berufsleben.
  • Staatliche Aufklärungsarbeit mittels verbindlicher Aus- und Weiterbildungen für alle Funktionsträger in den Bereichen Medizin, Psychologie / Psychotherapie, Pädagogik, Recht etc. und die Aufnahme des Themas geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in sämtliche staatlichen Lehrpläne und –materialien. Aufklärung ist der einzige Weg zur Vermeidung von Diskriminierung und Mobbing, egal ob auf institutioneller oder zwischenmenschlicher Ebene.
  • Die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention.
    Kinder müssen selbst gehört werden, und ihre Äußerungen müssen ernst genommen werden, wenn es um ihre ureigensten Belange geht. Besonders wichtig ist uns, dass die Aufklärung über das Thema trans* im Bildungssystem und in den Ausbildungsgängen aller Berufsgruppen im pädagogischen Bereich fest verankert wird. Wir wissen, dass trans*Kinder häufig bereits im Alter von drei bis vier Jahren deutlich äußern können, dass die spätestens bei der Geburt von außen erfolgte – und dann ab dem ersten Lebenstag durch alle möglichen Formen der Vermittlung täglich hundertfach bekräftigte – Geschlechtszuordnung für sie nicht stimmig ist.
Vor diesem Hintergrund  wird klar, wie wichtig es ist, dass schon im Kindergarten mit der Vermittlung und dem Vorleben von Akzeptanz und Vielfalt begonnen wird. Denn damit sich trans*Kinder in ihrem Geschlecht frei und ohne Angst entwickeln können, muss in ihrem Umfeld klar sein, was die spanische Elternitiative Chrysallis in einige wenige, aber umso klarere Worte gefasst hat: Es gibt Mädchen mit Penis und Jungs mit Vagina. So einfach ist das.
Die Mehrheit von ihnen leidet jeden Tag, weil die Gesellschaft diese
Realität nicht anerkennt.
Reden wir darüber. Ihr Glück hängt auch von Dir ab!